Elias Vogt ist Präsident des Vereins Freie Landschaft Schweiz. Zusammen mit weiteren Organisationen hat er erfolgreich das Referendum gegen das neue Stromgesetz, den sogenannten Mantelerlass, ergriffen. Hier erklärt er, welche Auswirkungen das Gesetz auf Natur und Landschaft hat und warum er in der Volksabstimmung vom 9. Juni für ein Nein plädiert.
Herr Vogt, das neue Stromgesetz ist ein Monstrum aus verschiedenen Gesetzesrevisionen. Was beinhaltet es genau?
Elias Vogt: Sie sagen es richtig: Der Mantelerlass ist eine Revision verschiedener Gesetze in einem «Mantel». Erstens soll das Energiegesetz, zweitens das Stromversorgungsgesetz und drittens das Raumplanungsgesetz revidiert werden. Das Hauptziel ist der massive Ausbau der Wind- und der Solarenergie in der Schweiz, aber auch der Bau von 16 grossen Wasserkraftwerken. Und alle Aspekte rund um diese erneuerbaren Energien sind in diesem Paket geregelt. Die Gesetzesrevision beinhaltet aber auch noch viele offene Punkte. Der Bundesrat will zum Beispiel Bewilligungsverfahren abkürzen. Weil in der Schweiz aber das Prinzip der Gemeindeautonomie gilt, darf die Bevölkerung direkt über die Raumplanung in ihrer Ortschaft mitentscheiden. Wenn nun der Bundesrat das Verfahren verkürzt, kann er bewirken, dass die Gemeinden nichts mehr zu sagen haben.
Sie haben das Referendum nicht alleine ergriffen. Wer ist sonst noch dabei?
Zuerst hat eine Privatperson das Referendum ergriffen, nämlich Pierre-Alain Bruchez, ein ehemaliger Finanzexperte und Angestellter des Bundes, der jetzt pensioniert ist. Er hat sich gefragt, was denn in diesem Mantelerlass genau enthalten ist. Und er hat gesehen, dass man mit diesem Gesetz riesige Solarparks in den Alpen bauen kann. Später kam die bekannte Fondation Franz Weber hinzu, und auch wir von der Freien Landschaft Schweiz wollten uns für die Gegenmassnahmen engagieren.
Welches sind generell die Ziele der Freien Landschaft Schweiz?
Unsere Organisation ist eigentlich der Dachverband der Windkraftkritiker in der Schweiz. Wir haben ungefähr 50 Mitgliedsvereine und acht kantonale Sektionen. Wir sind in der ganzen Schweiz engagiert und treten vor allem für den Naturschutz, aber auch für die direkte Demokratie ein. Denn mit dem neuen Mantelerlass wird der Bundesrat bestimmen können, wann, wo wie viele Installationen für die Erzeugung erneuerbarer Energie gebaut werden dürfen. Es drohen jedoch massive Eingriffe in die Natur. Ausserdem ist noch nicht gewiss, wie viel der Bund für diese neuen Anlagen an Subventionen vergibt. Im Jahre 2017 wurde schon ein neues Energiegesetz angenommen. In diesem Gesetz steht, dass ab 2022 keine Subventionen mehr für Solar- und Windkraftwerke vergeben werden. Dieses Gesetz würde also mit dem Mantelerlass gebrochen. Wir sehen eine subventionierte Naturzerstörung auf uns zukommen! Auch ist eine regelmässige Energie nicht gewährleistet, denn bei Regen funktioniert der Solarstrom nicht und bei unseren schlechten Windverhältnissen laufen die Windräder auch nicht permanent. Überhaupt ist im Mantelerlass die Netzversorgung mit ausreichender Speichermöglichkeiten der Energie nicht geklärt.
Sie haben es angetönt: Im Mantelerlass werden auch die Einsprachemöglichkeiten, also das demokratische Mitspracherecht der Bevölkerung, eingeschränkt. Wie konkret äussert sich dies?
Bis jetzt kann die Bevölkerung mit Einsprachen ein Energieprojekt aufgrund des Naturschutzes oder einer steigenden Lärmbelästigung stoppen. Sowohl Privatpersonen als auch Naturschutzorganisationen können sich wehren. Leider ermöglicht der Mantelerlass dem Bundesrat, dass dieser den Volkswillen stark einschränkt. Die Interessen der Stromversorgung stehen über dem Naturschutz und den Menschen. Dies führt zu einer drastischen Reduktion der direkten Demokratie.
Ein bekannter Jurist, Professor Dr. Alain Griffel, hat den Mantelerlass ebenfalls kritisiert. Er verstosse gegen die schweizerische Bundesverfassung. Inwiefern denn?
Wir haben in der Schweiz einen Artikel in der Verfassung zur Energiepolitik, da stehen gewichtige Prinzipien drin. Die Stromversorgung oder die Energieproduktion müssen ausreichend, sicher, wirtschaftlich und umweltverträglich sein. Die Umweltverträglichkeit und die Versorgungssicherheit müssen aber gleichwertig behandelt werden. Das wird in Zukunft nicht mehr der Fall sein.
Was hat dazu geführt, dass unsere Volksvertreter ein dermassen brachiales Gesetz auf den Weg gebracht haben?
Es hat im Herbst 2022 angefangen. Vorher hatte sich das Parlament jahrelang kaum mit der Energiepolitik beschäftigt. Als die Corona-Pandemie vorbei war, verfasste die Elektrizitätskommission einen Bericht, in welchem stand, dass viele Atomkraftwerke in Frankreich in Revision seien und es sein könnte, dass wir in der Schweiz plötzlich einen Strommangel erleiden müssten. Das Parlament hat dann innert drei Wochen völlig überstürzt einen sogenannten Solar-Express beschlossen und gesagt, dass jetzt grosse Solarkraftwerke in den Alpen gebaut werden müssen. Das war überhastet und verfassungswidrig. Ich bin mit einer Beschwerde bis vor das Bundesgericht gegangen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde jedoch ab mit der Begründung, dass das Parlament in der Schweiz allmächtig sei. In diesem Geiste der Allmächtigkeit wurde dann dieses Gesetz beschlossen.
Welche Befürchtungen haben Sie, was die Natur und die Landschaft betrifft, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt?
Es sind in erster Linie riesige Solarparks in den Alpen geplant. Viele Alpweiden würden mit Stahlkonstruktionen und Solaranlagen überdeckt werden. Das andere ist, dass Windkraftanlagen auch in Wäldern explizit erlaubt sein sollen. Man muss sich vor Augen halten: Im Kanton Zürich, im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz, wohnen weit über eine Million Menschen. Hier sind jetzt 120 Windräder geplant – und 110 davon sollen in den Wald gebaut werden. Das sind die schwersten Umwelteingriffe. Hinzu kommen noch Wasserkraftwerke, die man bauen möchte. Es ist absurd: Um angeblich das Klima zu retten, werden Wälder und Natur zerstört. Ein Windrad braucht ein Fussballfeld-grosses Gebiet, Wälder werden gerodet, 10 m breite Strassen gebaut. Ist das grüne Energie? Die Alpen und Voralpen als Erholungsgebiet kann man vergessen, Hotelanlagen an den schönsten Aussichtslagen werden nicht mehr attraktiv sein. Die Schäden, die man mit diesem Gesetz anrichtet, sind zurzeit noch unüberschaubar.
Sie sprechen die Tourismusregionen in den Alpen an. Der Kanton Graubünden will da Vorreiter sein beim Bau von riesigen Windkraftanlagen. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?
Wenn der Bund einem Kanton Graubünden, einem der weltweit bekanntesten Tourismushotspots, den Auftrag gibt, 100 Windräder aufzustellen, dann kommt man nicht darum herum, dass diese Windturbinen eben in den schönsten Landschaften und bekanntesten Tourismus-Destinationen gebaut werden, sei es in Davos, auf der Lenzerheide, in Arosa oder direkt beim schweizerischen Nationalpark. Das hat auch eine historische Bedeutung, weil der Tourismus und die Alpen unsere Identität ausmachen. Ende des 19. Jahrhunderts ist die Schweiz massiv gewachsen, ist zu einem der reichsten Länder der Welt geworden. Und dies unter anderem eben wegen dieser Landschaften, weil viele Leute aus dem Ausland zu uns gekommen sind, um diese Landschaften zu bewundern.
Wie stellen Sie sich grundsätzlich zur Energiewende?
Was ich sicher sehe, ist, dass die fossilen Energien zum Klimawandel führen, und der Klimawandel ist schädlich. Da müssen wir Lösungen finden. Das Problem ist die Politik, wie sie das angeht. Sie hat die Bevölkerung gefragt, ob sie aus der Atomenergie aussteigen wolle. Die Bevölkerung hat ja gesagt. Man hat die Bevölkerung gefragt, ob sie aus den fossilen Energien aussteigen wolle. Die Bevölkerung hat ja gesagt. Die Politik hat jedoch nicht erklärt, was das dann bedeutet, was das kostet und wie das genau funktionieren soll. Das ist für mich ein unlauteres Vorgehen. Es ist keine ehrliche Politik.
Wie wollen Sie das Stimmvolk von Ihren Argumenten überzeugen?
Ich glaube, in der Bevölkerung fehlt es an Informationen. Man muss sie ganz sachlich informieren. Was heisst es, eine Windturbine zu bauen? Was heisst es, wenn man sie im Wald baut? Was heisst es, wenn man eine Solaranlage in den Alpen baut, die 100 Fussballfelder gross ist? Und was passiert dann im Winter, wenn es Schnee hat? Wenn wir diese Fragen nüchtern beantworten, erkennen wir, dass das Stromgesetz der falsche Weg ist.
Interview Dr. Philipp Gut
Zur Person:
Elias Vogt ist Unternehmer und Präsident von Freie Landschaft Schweiz. Er wohnt in Grenchen.